Meine Oma

Geteilte Gedanken

Meine Oma ist ein großartiger Mensch. Kein temporär großartiger Mensch, der dich auf Abschnitten deines Lebens begleitet, aber dennoch kommt und geht. Sie war immer da. Sie ist immer da und der Gedanke, dass sie irgendwann mal nicht mehr da sein wird, macht mich jetzt schon traurig. Sie ist die Beständigkeit in Person. Zu ihr fahren, mit ihr bei Kaffee und selbstgebackenen Plätzchen plauschen, wirkliches Interesse an der eigenen Person erfahren-  das sind Momente in denen es einfach gut ist, man runter und zur Ruhe kommt. Ich habe letztens überlegt, dass meine Lebenswelt der ihren eigentlich total fremd ist und auch meine Entwicklungsmöglichkeiten ganz andere sind als ihre damals.

Bachelor? Ausbildung? Großstadt? Dorfleben? Partnerschaft? Kinder? Alleinleben? – Alles Fragen, die sich so für meine Oma gar nicht gestellt haben. Sie hat keine Ausbildung gemacht, zählte aber dennoch im elterlichen Bäckereibetrieb als volle Arbeitskraft. Sie hat meinen Opa mit 16 Jahren kennengelernt, bald wurde geheiratet, im selben Dorf zusammengezogen, das erste Kind geboren. „Das war halt so, es gab nur diesen einen Weg“- sagt sie heute, wenn ich ihr mal wieder von meinen verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten/-zwängen berichte. Trotz dessen ich so unterschiedliche Voraussetzungen habe, verstehe ich mich super mit meiner Oma. Sie ist ein sehr reflektierter, bewusster Mensch. Beherrscht die Kunst des Zuhörens und ist dabei ganz beim Gegenüber. Auch, wenn ihr verschiedene Strukturen, wie etwa die meines Studiums, nicht viel sagen, ist sie interessiert, möchte in Bezug auf „Bachelorarbeit“ und co. auf dem Laufenden sein. Und auch da spüre ich wieder Beständigkeit. Beständigkeit als begleitende Person. Als Person, die weiß, wann man wichtige Prüfungen hat und dann an einen denkt und eine Kerze anzündet. Wenn ich nun feststelle, dass ihre Kraft nachlässt und sie allmählich immer mehr Hilfe im „Alltagsgeschäft“ braucht, stimmt mich das nachdenklich. Wie wird es sein, wenn sie mal nicht mehr da ist? Wenn dieser wichtige Ankerpunkt für mich fehlt und ein spontanes Vorbeischauen nicht mehr möglich ist. Ich versuche nun schon mehr gute Momente im Zusammensein mit ihr bewusst wahrzunehmen, sie besonders abzuspeichern, zu verankern. Das klingt grotesk, weil es sich irgendwo schon nach Abschied anhört, obwohl sie noch recht fit ist, aber ich möchte später von etwas zehren können und versuche es mir nun schon besonders einzuprägen, wenn sie mich anschaut und mir sagt, wie gern sie mich hat. Meine Oma ist ein großartiger Mensch.

Text: Christina Hörbelt
Foto: unsplash.de (Foto Christian Newmann)

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